David Emling

"It's alright, Ma, it's life and life only." (Bob Dylan)

Autor: David Emling (Seite 5 von 6)

Das Leben in einem Zimmer

„Dieses Zimmer – wenn du es einmal betreten hast, kommst du nie wieder richtig raus. Du kannst vergessen, dass du dort bist, du kannst weitermachen, so als hättest du alles unter Kontrolle, als wäre der Verlauf deines Lebens, ja sogar seine Länge, ein Ausdruck deiner Charakterstärke und der Klugheit deiner Entscheidungen. Und dann kommt der Augenblick, da du an einem sonnigen Märztag in der Kurve auf eine vereiste Stelle kommst und das Steuer in deiner Hand wird zu einem Witz und du bist nur noch Zuschauer deiner träumerischen Rutschpartie in den Abgrund, und dann weißt du wieder, wo du bist.“ (Tobias Wolff, Dieses Zimmer, aus: Unsere Geschichte beginnt, Erzählungen)

Mit diesen Worten beschreibt Tobias Wolff mithilfe der Metapher des Zimmers, wie unsicher unser Leben immer ist – und dass das Wissen darum uns nie wieder verlassen wird. Die metaphorische Verdichtung auf einen Raum, in dem man sich im übertragenen Sinne ein Leben lang aufhält, steht für die Unmöglichkeit, trotz aller Vermeidung von Risiken ein gleichsam sicheres Leben zu führen. Eine einzige vereiste Stelle auf der Straße des Lebens (und zwar an einem sonnigen Märztag, also völlig unerwartet) kann reichen, um das Steuer vollkommen aus der Hand und vermeintliche Gewissheiten für immer zu verlieren.

Ehrliche Liebe

Die ehrliche Liebe zwischen zwei Menschen folgt keiner Choreographie. Man kennt die Schritte vorher – auch wenn man es vielleicht noch gar nicht weiß.

Ein eigenes Zitat in Anlehnung an einen Satz aus Dana Grigorceas „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“ – und meine literarische Antwort auf die Geburt meiner Tochter Anna-Maria am 17.4.2018 und die Liebe zu meiner Frau.

Feierabendliche Goldränder

Ausgepumpte, fast reglos in ihren Stühlen liegende Menschen empfinde ich als besonders schön. Sie wirken, mild von der Sonne beschienen, wie die endlich zur Betrachtung freigegebenen feierabendlichen Goldränder unserer Leistungsgesellschaft.“ (Wilhelm Genazino, „Das Glück in glücksfernen Zeiten“)

In diesen ersten Sätzen seines Romans deutet Genazino an, worum es im Folgenden geht. Sein Protagonist Gerhard Warlich sitzt nach einem langen Arbeitstag in einem Café und beobachtet die Menschen um sich.  Es geht ihnen offenbar allen wie ihm: Sie sind müde, fertig, entkräftet, von einer Arbeit, die sie ernährt, aber dumpf zurücklässt. Und der Beobachter Warlich, vom Leben übermannt, fragt sich: Muss das so sein? Geht leben/Leben nicht auch anders? Es ist diese eine Frage, die dem ganzen Roman seine subtile Sprengkraft verleiht und den Leser mit der gleichen Frage zurücklässt, die wir alle für uns selbst zu beantworten haben.

Zufriedenheit

Und es begann dieses beschwingte Geplauder zufriedener Menschen, die nichts als einsehen, dass es ein schöner Tag ist, mit einer hellen Sonne und weißen Schwänen auf dem See, in einer der schönsten Städte der Welt, mit freundlichen, sorglos wirkenden Menschen.“ (Dana Grigorcea, „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“)

 

Mit diesen Worten zu Beginn ihrer Novelle „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“ rahmt Dana Grigorcea die Handlung einer Liebesgeschichte. Die eigentlich in den hohen Kreisen der Stadt Zürich verkehrende Ballerina Anna lernt zufällig den Gärtner Gürkan kennen, der ihr auf Anhieb sympathisch ist. Sie mögen und verlieben sich. Die Autorin zeigt mit diesen Worten, wie einfach eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein kann, die sich gern haben und schließlich lieben lernen. Es sind keine großen Erkenntnisse und theoretischen Gedanken, wie sie Annas liebenswürdiger und bemühter Mann, vor allem aber ihre Berufswelt, die Kunst, von sich geben, die der Protagonistin wie auch dem Leser im Gedächtnis bleiben. Es sind jene einfachen, und dadurch wahrhaften Begegnungen, die im Leben so wichtig zu sein scheinen und es deshalb lebenswert machen.

 

 

Lesung bei der Lesebühne Darmstadt

Am Mittwoch, 7. März, werde ich als einer der Gewinner des Literaturwettbewerbs von Stockstadt 2017 bei der Lesebühne Darmstadt zu Gast sein. Eine besondere Ehre, da die Lesebühne in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiert.

Ich werde darin aus meinem Gewinnertext, einem Auszug aus der Erzählung „Daniel“, lesen. Beginn der Veranstaltung ist 19.30 im Literaturhaus Darmstadt.

Weitere Infos auch unter anderem auf

http://www.fr.de/rhein-main/alle-gemeinden/darmstadt/darmstadt-textwerkstatt-feiert-jubilaeum-a-1419961

 

Abschluss

Als es dunkel wurde, ging sie nach Hause. Niemand wartete dort auf sie. Die Luft war immer noch wie am Mittag, als wäre die Dämmerung in der Stadt nur eine Fehlleistung der Augen. Straßenlaternen: Lichtkneipen für Insekten. Schaufensterpuppen: Cartoonfiguren in den Kleidern ihrer Zeichner. Und Sterne: Welten, die so klein waren, dass Hunderte von ihnen zwischen ein paar abendliche Baumäste passten. (Clemens J. Setz, „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“)

Mit diesen Worten schließt Clemens J. Setz das erste Kapitel seines tausendseitigen Romans „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ ab, das er mutigerweise „Abschluss“ nennt. Und genau das schafft er: Obwohl der Leser sich auf eine ergreifende Geschichte freuen kann (Klaus Kastberger, Jury-Mitglied des Ingeborg-Bachmann-Preises, sagt nicht zu unrecht, dass man an diesem Roman nicht vorbeikommen kann oder besser dürfte) und wir erst am Anfang sind, ist in diesen ersten Seiten schon vieles, mit wenigen Worten eigentlich alles „abschließend“ über die Protagonistin, ihr Leben und die Stimmung, in der das Folgende sich abspielt, gesagt.

 

Neuer Text auf Fixpoetry

Mein Text „Portionierte Freiheiten“ ist am 15.12.2017 Text des Tages auf der Literaturplattform Fixpoetry.

Hier geht’s zum Text:

https://www.fixpoetry.com/texte/text-des-tages/david-emling/portionierte-freiheiten-eine-kleine-ueberlegung

Wenn wir Glück haben

„Wenn wir Glück haben, Autor wie Leser, dann sitzen wir nach den letzten Zeilen einer Kurzgeschichte einfach nur eine Minute da, ganz still. Im Idealfall denken wir nach über das, was wir gerade geschrieben oder gelesen haben. Vielleicht hat sich unser Herz oder unser Verstand ein wenig von der Stelle bewegt. Unsere Körpertemperatur ist gestiegen oder gefallen. Und dann atmen wir ruhig und regelmäßig, wir reißen uns zusammen, Autor wie Leser, stehen auf und wenden uns wieder dem Nächstliegenden zu. Dem Leben. Immer dem Leben.“ (Raymond Carver)

Mit diesen Worten beschreibt der amerikanische Meister der Kurzgeschichte Raymond Carver, was wir als Autoren ebenso wie als Menschen von der Literatur erwarten dürfen. Ein kurzes Innehalten, ein kleiner Ausbruch aus dem Leben, wie es uns als gegeben erscheint – mehr kann es nie sein, und doch ist vielleicht gerade das genug. Wenn wir Glück haben zumindest.

Verlässliche Größe im Leben?

„Das Gedächtnis ist keine verlässliche Größe im Leben, aus dem einfachen Grund, dass für das Gedächtnis nicht die Wahrheit wichtig ist.“ (Karl Ove Knausgard, „Spielen“)

Im dritten Roman seinen sechsbändigen autobiografischen Werks „Min Kamp“ schreibt Karl Ove Knausgard über seine Kindheit. Es ist wie so oft bei großen Schriftstellern: In den Texten passiert wenig bis nichts, und doch gärt es unter der Oberfläche. Es ist dieses Gären, das der Autor schonungslos beschreibt und doch die Perspektive eines Kindes übernehmen kann, das sich noch über Pfannkuchen und ein nachmittägliches Fußballspiel am Fernseher mit seinem Bruder und Vater freut – und bei all dem schon früh lernt, wie kompliziert das Leben sein kann und das nichts, aber auch gar nichts, einfach ist.

 

Parallel Reading mit Martina Weber – Richard Fords „The Sportswriter“

Hier mal etwas Anderes zu lesen…

Ein Parallel Reading gemeinsam mit der Lyrikerin Martina Weber über das Buch „The Sportswriter“ von Richard Ford.

Parallel Reading: Richard Ford „The Sportswriter“/„Der Sportreporter“

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