„In dem Moment sehe ich sie. Um die siebzig, ihr Haar weiß und windzerzaust über einem schmalen Gesicht mit eingesunkenen blauen Augen; sie hat den starren Blick eines Menschen, der über sein ursprüngliches Ziel hinausgelaufen, aber dann einfach weitergegangen ist.“ (Ocean Vuong, Auf Erden sind wir kurz grandios)
In dieser Szene beschreibt Ocean Vuong, wie seine Mutter, Arbeiterin eines Nagelstudios, eine alte Dame als Kundin einlässt. Ungewöhnlich, da dies ein Sonntag ist, lässt er die Frau dennoch ein, weil sie einen derart verzweifelten Eindruck macht, dass er sie nicht abweisen kann. Die Dame, die von der Mutter des lyrischen Ichs massiert und versorgt wird (und an einem Bein eine Prothese trägt und auch hier um Massage bittet), wirkt noch trauriger als die Mutter selbst, die doch täglich um ihr Dasein kämpft – und ihrem Sohn allzu oft nur mit Gewalt entgegnen kann. Die ganze Szene atmet eine Verzweiflung, die am Ende dennoch ein kleines Stück gebrochen wird, dann nämlich, als die Dame zufrieden ihre Prothese wieder anzieht und sich mit den Worten „Der Herr behüte dich“ bei der Mutter bedankt. Dieser kleine Hoffnungsschimmer, dass es doch Menschen gibt, die honorieren, was man tut, durchzieht bei allem Schmerz das ganze Buch.