Teil 1

Darkness at the break of noon
Shadows even the silver spoon
The handmade blade, the child’s balloon
Eclipses both the sun and moon
To understand you know too soon
There is no sense in trying

Bob Dylan

1.

Daniel wachte auf. Die Ziffern auf der Uhr sagten 4:50 Uhr, eigentlich noch zwei Stunden Zeit. Sie neben ihm, nur ein leichtes Röcheln aus der Nase, tiefer, fester Schlaf. Oftmals drehte er sich in solchen Momenten mit einem Lächeln in die Wärme ihres Körpers. Der Tag noch nicht angebrochen, niemand da, der ihn zwang aufzustehen. Diese Unschuld des frühen Morgens; zu schade, je begonnen zu werden. Er küsste sie dann leicht auf die Schulter, roch ihr Haar und schmiegte sich an sie. Sie würde nichts tun, nur stetig atmen. Beruhigend. Es würde reichen, um ihn beinahe sofort wieder einschlafen zu lassen. An diesem Morgen aber hielt ihn etwas wach. Die gestrige Besprechung, Wort für Wort, Satz um Satz, den er zu hören bekommen hatte, den er schlucken musste. Wie wenig er sich gewehrt hatte. Kommunikation, Teamfähigkeit, Absprachen. Begriffe, wie er sie schon so oft gehört hatte. Sie alle im Team, doch alle waren still, bevor sie schließlich hinausgeschickt wurden, zurück zu Schreibtisch, Computer und kaltem Kaffee, der halb leergetrunken, zu dunkel, zu bitter in seiner alten, ausgewaschenen Tasse herumschwappte. Ein Blick zu seiner Kollegin Tanja, wie sie verbissen, zu fest in die Tasten ihres Computers hieb. Wie sie ihre Augen kaum vom Bildschirm löste, nur selten blinzelte. Wie sie nicht antwortete, nur leicht den Kopf schüttelte, als er fragte, ob sie zum Mittagessen mit in die Stadt ginge. Wie sie einfach weiter auf den Bildschirm starrte, Daniel ein schlechtes Gefühl gab, das ihn wieder an ihren Chef denken ließ. Und wie jener am Ende dieses Tages nochmals an ihre Schreibtische kam; nebeneinander aufgereiht wie Kindergartenkinder saßen sie da, immer möglich sich anzublicken oder Transparenz zu schaffen, wie es bei ihnen hieß. Und wie Tobias oder Toby, wie sie ihn nennen sollten, dann, im Moment des Gehens, Daniel nochmals auf die Schulter klopfen, die Hand schütteln, lächeln und leicht zuzwinkern würde, bevor er seinen kleinen Koffer in die Hand nahm und verschwand. Er atmete durch. Was soll’s, alles okay. Er mochte ihn sehr. Die Art, wie er mit ihm sprach. Bei der Begrüßung morgens, sofern er im Haus war, nicht nur ein einfaches, gelangweiltes, routinemäßiges „Morgen“; er gab ihm die Hand oder, wie sonst nur mit wenigen, schlug mit ihm ein, dass die zusammenrasselnden Hände ein lautes Knallen erzeugten. Fast wie Freunde. Vielleicht, dachte er manchmal, waren sie das ja sogar. Er wusste privat wenig von ihm, aber dennoch war er Daniel vertraut. Ein Freund. Ja, vielleicht. Er saß dann allein in der Stadt, aß eine Kleinigkeit, versuchte es zu genießen. Es war gut und teuer, und sein Kaffee war zu heiß, um ihn schnell zu trinken. Aber er dachte ans Büro, an Tanja, wie sie sicher immer noch arbeitete, wie sie einfach weitermachte, ihm vielleicht irgendwie voraus war. Er aß schneller, bekam einen Schluckauf, musste die Luft anhalten, ein alter Trick, den er von früher noch kannte, manchmal sogar half, und trank einen Schluck Kaffee. Dreißig Minuten war er nun weg. Würde es schaffen, in weiteren zehn zurück zu sein. Er trank, die Tasse noch halb voll, einen letzten Schluck, rief die Kellnerin, bezahlte und ging. Alte Häuser, Bänke, schöne Blumen und Sträucher an den Gassen der Stadt, durch welche er gerne durchspazierte, jetzt schnell vorbeieilte. Er ging durch die Tür, hörte die Telefone, Klingeltöne der Handys, das Bimmeln beim Eintreffen der e-mail-Nachrichten, wie sie zu Massen einmarschierten. Ihre Beantwortung, Produktion von Kommunikation ihre Daseinsberechtigung. Drinnen das Bild unverändert. Warm, stickig, ausgesaugte Luft. Er öffnete das Fenster und setzte sich, Tanja nickte nur leicht. Er warf einen Blick in den Zeitschriftenkorb, den Tobias oder Toby, wie sie ihn nennen sollten, gekauft hatte um sie abzulenken, ein wenig Freiraum zu geben, sie mit dem, was auch immer sie lesen wollten, auf andere Gedanken zu bringen. Er sah eine Zeitschrift mit einem Klumpen Fleisch auf der Frontseite und den Worten „Don’t try“ darunter, irgendeine Sache, die er sich bestimmt von seiner Kollegin Jenny bald würde anhören müssen. Sie würde dann wahrscheinlich wieder vom Tierschutzverein, ihren grass-root-Bewegungen sprechen, was Daniel nach ihrem Kennenlernen damals erstmal nachschlagen musste. Er mochte sie, bewunderte, wie sie sich diesen Dingen stellte. Aber wie sie nur die Zeit für all das hatte? – seine eigene Woche wie ein endlos dehnbarer Teig, unablässig geknetet, solide, fest, doch immer gleich. Spät nach Hause kommen, etwas zu essen suchen, sofern sie nicht schon etwas mitgebracht hätte, und dann am Abend mit ein wenig Wein vor dem Fernseher sitzen, froh, nichts mehr tun zu müssen. Er hörte zwei neue e-mails kommen und wusste, dass es weiterging.

Don’t try.

(Aus: „Daniel“, 2. Preis beim Literaturwettbewerb Stockstadt)